Springen, anfangen, durchbeissen, jubeln, Luft holen, Ärmel hochkrempeln, reinschauen, weit blicken, entscheiden – und … loslassen. Die Selbstständigkeit ist ein Konzept, von dem ich vier Jahrzehnte niemals gedacht hätte, dass wir zusammengehören. Das war nicht mein Selbstbild, nicht etwas, von dem ich dachte: „Da bin ich mit allem, wie ich ticke, goldrichtig“.
Als ich mit fast 43 Jahren vor meinem Textchef im Verlag stand und ihm mitteilte, dass ich kündigen werde, um mich selbstständig zu machen, antwortet er: „Das überrascht mich nicht, Sie sind ja eh ein Freigeist.“
Das wiederum überraschte mich. Kreativ – ja. Impulsiv – ja. Freiheitsdrang – ja, aber diese Sicherheit … die war doch immer wichtiger? Nun ja, inzwischen arbeite ich mit Klient*innen täglich an diesem Thema in meiner Praxis: Manchmal muss man ein paar Jahrzehnte leben und viel Persönlichkeitsentwicklung betreiben, bevor man Prägungen abschüttelt und zu seinem eigenen Kern durchdringt. Und auch danach lebt.
Meine psychotherapeutische Praxis habe ich mir (anfangs neben meiner Arbeit als Redakteurin für Psychologie und Gesundheit) Schritt für Schritt aufgebaut, mit allem, was dazugehört: nebenberufliche Ausbildung, eigene Psychotherapie, Businessplan, Gründungszuschuss, Weiterbildungen in Gesprächstherapie und zum Burnout-Coach, Ausbildung zum NLP-Practitioner und NLP-Master, minikleiner Raum, kleiner Raum, größerer Raum. Zwei Termine pro Woche, zwanzig Termine pro Woche, Erfolg, Stagnation, Verzweiflung, Freude, unbändiger Wille … spät abends noch an den Rechner, am Wochenende die Website, Blogartikel, Buchhaltung. Nein, ich trenne häufig Freizeit und Arbeit nicht, mein Laptop ist im Urlaub dabei – ich würde eingehen, wenn ich Ideen und Texte nicht unmittelbar notieren könnte und daran zwei oder drei Wochen nicht weiterdenken dürfte. Ich liebe meine Arbeit. Und ich liebe meine Familie, meine Freunde, meine anderen Interessen.
Nach ein paar Jahren bildete ich mich weiter zur Schreibtherapeutin und Seminarleiterin für kreatives Schreiben und Poesietherapie – da war die Idee, das Stärkende mit dem Kreativen zu verbinden – und ich sage Euch – Schreiben kann das ganz wunderbar. Der Soulwriters-Club war in meinem Kopf schon lange auf der Welt, das Logo längst entworfen und die Konzepte geschrieben, als ich im Sommer 2022 endlich den ersten Workshop anbot.
Ich habe eine große Praxis angemietet mit wirklich wunderbaren Räumlichkeiten, ich habe Werbung geschaltet, Reels gedreht, Flyer gedruckt, Aushänge im Stadtteil angebracht, Instagram langsam ausgebaut – die Antwort waren volle Schreibworkshops und tolle Rückmeldungen, wunderbare Begegnungen und großartige Einblicke in die Herzen und Köpfe vieler Teilnehmer*innen.
Ich könnte ewig so weitermachen.
Und musste in den letzten Monaten feststellen: Kann ich nicht.
Möchte ich nicht.
Als Coach für Burnout-Prävention und Stressmanagement stelle ich fest: Es ist zuviel von dem einen und zuwenig von dem anderen.
Nicht nur von XY Stunden die Woche möchte ich hier reden, sondern von den gefühlt fünf Hochzeiten, auf denen ich auch gedanklich gleichzeitig tanze – mein Hauptjob, meine psychologische Praxis, mein Roman, mein Sachbuch, an denen ich schreibe, ich begleite eine Sachbuchentstehung, ich mache Einzelschreibcoachings und konzipiere und gebe Schreibworkshops.
Und ich habe eine Familie, Freunde, einen Hund und zwei Katzen, die ich wirklich gern um mich habe. Ja, die Kinder sind inzwischen Teenager, aber ich möchte mich trotzdem mit ihnen und ihrer Welt beschäftigen und für sie da sein. Am liebsten würde ich in meiner Freizeit noch mehr Klavier spielen, singen, mehr lesen und endlich wieder in eine Malschule gehen – von Sport ganz zu schweigen und gern würde ich auch mal ne Stunde gar nichts machen.
Und wenn da so viele „Ich würde so gern …“ sind, dann muss man sich eigenverantwortlich fragen: „Und warum machst Du es nicht?“
Die typische Antwort wäre: „Das geht nicht, dafür habe ich keine Zeit“.
Und nun der nächste Gedanke: Es ist meine Entscheidung, keine Zeit dafür zu haben.
ICH gestalte mein Leben – und niemand sonst. Es geht also um Prioritäten, um eine Selbstanalyse (#schönmichzusehen), um Entscheidungen – und die habe ich in der Ruhe der dänischen Landschaft im August getroffen:
Die Schreibworkshops machen mir soviel Spaß, bedürfen aber viel Zeit und Gedanken, was Akquise und Organisation in meinen Räumlichkeiten betrifft.
Also habe ich schweren Herzens entschieden, dass die im September startenden Schreibworkshops die letzten in dieser Art sein werden.
Ab 2024 biete ich nur noch Schreibworkshops auf Anfrage von geschlossenen Gruppen von privat oder von Firmen an – oder Seminarhäusern, die einen Anbieter für ihr Programm suchen.
Aus der Seite www.soulwriters-club.de wird in nächster Zeit www.juliaschroedergoeritz.de – um dort alle Aktivitäten rund um meine schreibenden Tätigkeiten zu versammeln.
Ich finde es wichtig, auch als Selbstständige in dem ganzen Insta-Wow-So-Wirst-Du-Trillionär-Ding zu sagen: Ich möchte wieder etwas downsizen, Tempo rausnehmen, gedanklichen Umfang händelbarer machen. Übrigens auch räumlichen.
Meine Praxistätigkeit steht für mich auf der Prioritätenliste ganz vorne und ich merke, dass ich mich darauf wieder mehr konzentrieren möchte. Ich lebe das Privileg eines für mich sehr sinnhaften Arbeitens und möchte die Freude daran behalten – ohne von einem Tun ins nächste zu hetzen. Und um einen meiner Lieblingssätze aus dem Stressmanagement selbst zu leben:
„Ich muss nicht alles machen, was ich kann.“
Was das für diesen Kanal hier bedeutet? Los, bucht die letzten Schreibworkshops! 🙂 Haha! Das wäre natürlich super – aber abgesehen davon wird es hier weiterhin Texte und alles rund ums Schreiben geben, nur die Workshop-Ankündigungen, die werden ab Ende Oktober nicht mehr im Content vorkommen.
Also – bleibt doch trotzdem noch ein bisschen hier, ich würde mich freuen.
Foto: Maya Meiners (https://maya-meiners.de)